„Und dann schreibt ein Ohrenarzt ein Gutachten, das dafür sorgt, dass einem nierenkranken Kind das richtige Medikament vorenthalten wird! Das kann’s ja wohl nicht sein“, berichtet Michaela Sandkaulen, Mutter von Rabea, bei der mit vier Jahren PH diagnostiziert wurde.
Der Satz aus dem Bericht der Vorsitzenden der PH-Selbsthilfegruppe zeigt unter einem Brennglas, worum es geht. Aufmerksamkeit schaffen für eine seltene Krankheit. Nicht nur in der Öffentlichkeit, nicht nur bei Betroffenen. Sondern auch bei Ärzten, bei medizinischen Diensten, bei allen Entscheidungsträgern. Bei allen, die dafür sorgen können, die Primäre Hyperoxalurie nicht nur zu erkennen, sondern auch zu therapieren und irgendwann vielleicht auch mal zu heilen. Immer und immer wieder.
Bis heute ein steter Kampf, der vor 20 Jahren begann. Damals gab es keine Lobby, nur ein paar Ärzte, die wussten, was Primäre Hyperoxalurie ist und diese im besten Falle auch diagnostizieren konnten. Es gab Patientinnen und Patienten, die das Glück hatten, mit den entsprechenden Symptomen behandelt zu werden. Und es gab Babys und Kinder, die die Diagnose PH bekamen. Das Leben der dazugehörigen Eltern änderte sich von jetzt auf gleich. „Mein Kind hat eine Krankheit, die eine Nieren- und/ oder Lebertransplantation zur Folge haben kann.“ Ein Schock, den man nicht vergisst.

Im September 2005 waren es zunächst zwölf betroffene Patientinnen und Patienten bzw. ihre Eltern sowie Prof. Dr. Bernd Hoppe (damals UK Köln) und Dr. Kay Latta (Clementine Kinderhospital Frankfurt a. M.), die den Verein gründeten. Sie wollten nicht hilflos zuschauen, ob vielleicht irgendwann ein Mittel gegen die PH gefunden würde. Und schon gar nicht wollten sie zusehen, dass niemand die Folgen der Krankheit für Ihre Kinder wahrnahm. Sie wollten in welcher Form auch immer den Kampf gegen die Krankheit aufnehmen.
„Und es war gut, dass Sie, Herr Professor Hoppe, uns da auch immer wieder unterstützt und motiviert haben, etwas zu unternehmen.“, so Helmut Sandkaulen, Vater von Rabea, und in seiner Äußerung schwingt natürlich ein großer Dank mit an den Mann, der sich wie kein anderer in Deutschland die Erforschung der Primären Hyperoxalurie auf die Fahnen geschrieben hat. Dass das Jubiläumstreffen in seinem Kindernierenzentrum in Bonn stattfindet, spricht Bände. Prof. Dr. Hoppe hat denn auch ein paar Bilder mitgebracht von verschiedenen Treffen der Selbsthilfegruppe, genauso wie von anderen Aktionen rund um die PH.
Vor 20 Jahren hatten die Eltern zwar Glück im Unglück. Die Ärzte haben die seltene Krankheit immerhin erkannt. Aber dennoch waren sie nach dem Arztbesuch allein. Dabei steht außer Frage, dass es neben der Therapie der Krankheit den Betroffenen guttut, mit jemandem zu sprechen. Am besten mit Menschen, denen man nicht alles erklären muss. Mit Menschen, die zuhören, die genau wissen, wovon die Rede ist, weil sie selbst bzw. ihre Kinder betroffen sind. Neben dem Erfahrungsaustausch ging es auch immer darum, auf dem neusten Stand der Forschung zu sein und diese auch zu finanzieren.

Diese Ziele haben sich über 20 Jahre nicht verändert. Bei der Mitgliederversammlung wird das mustergültig deutlich. 25.000 Euro will die PH-Selbsthilfe zur Verfügung stellen für ein Forschungsstipendium. Denn über die Jahre hat sich einiges getan. Es gibt immer mehr Ärzte, die in der Lage sind, die Krankheit zu erkennen. Es gibt Medikamente, die mal besser mal schlechter die PH zu behandeln. Aber es gibt immer noch viele Fragen zu einer seltenen Krankheit, an der die Pharmaindustrie oft nur wenig Interesse hat.
25.000 Euro zahlt der Verein nicht aus der Portokasse, aber mit 74 Mitgliedern hat er sich über die Jahre gut aufgestellt und kann gezielt Gelder investieren. Gelder, die über Beiträge hereinkommen, aber auch über Spenden. In Viersen-Dülken hat ein Gospelkonzert rund 12.500 Euro eingespielt. Um die Arbeit und die Krankheit selbst noch bekannter zu machen, hat sich Britta Hessel aufgemacht, das Instagram-Profil der PH-Selbsthilfe zu betreuen. Aufmerksamkeit schaffen eben.
Und so kann man sich dann zur Pause auch mal ein paar Häppchen gönnen und den unvermeidlichen Sekt. Aber damit plaudert sich’s halt leichter. Über die Erfahrung mit der PEG-Sonde, über trinkunwillige Kinder, über Stress mit Krankenkassen und Ärzten. Das verbindet alle und entschädigt für weite Anreisen aus Ludwigshafen, Mannheim, Berlin, Osnabrück, Lippstadt und Reutlingen.
Dass aktuelle Forschung ganz nah an den Fragen der Eltern ist, zeigt gleich der erste Vortrag über neueste Erkenntnisse beim Herzultraschall. Noch während Dr. Katharina Linden vom Speckle-Tracking spricht, fragt ein Vater: „Der Kardiologe meines Kindes sagt, er sehe sofort, wenn es Auffälligkeiten gibt. Soll ich ihm das glauben? Oder soll ich jetzt doch lieber zu Ihnen nach Aachen kommen?“ Wie es ausgegangen ist, ist unerheblich. Wichtig ist, dass der Vater das Thema mit seinem Kardiologen besprechen kann. Aufmerksamkeit schaffen.

Cristina Martin Higueras berichtet aus Spanien. Sie selbst hat früher bei Professor Hoppe gelernt. Die PH-Selbsthilfe hat ihr vor Jahren ein Forschungsstipendium finanziert. Und sie hat später in Teneriffa eine PH-Selbsthilfegruppe gegründet. Die Gruppe in Spanien ist neben derjenigen in Deutschland mittlerweile die größte in Europa, wie Prof. Bernd Hoppe später berichten wird. Ebenso, dass sich zwei Tage vor dem Treffen eine PH-Gruppe in Italien gegründet hat.
Der Radiologe Mark Born berichtet über neue Methoden, Oxalat-Ablagerungen an Knochen zu zeigen. Dr. Caroline Kempf berichtet von ihren Patienten von der Charité in Berlin, bevor Prof. Bernd Hoppe den Abschlussvortrag übernimmt.
Er kommt an einem Thema nicht vorbei, das seit ein paar Monaten die Community belastet. Eine seiner Patientinnen, Theresa Hermann, ist im Alter von 32 Jahren infolge einer Viruserkrankung gestorben. Schuld daran waren nicht zuletzt Immunsuppressiva, die sie nach einer kombinierten Leber-Nierentransplantation nehmen musste. Ein Schock für alle, der, ohne dass es für die Anwesenden nötig gewesen wäre, drastisch vor Augen führt, welche Folgen selbst unter Therapie die PH haben kann.
Und so schmerzhaft immer eine solche Zäsur ist: Der Blick muss nach vorn gehen. Hoppe reißt einige Forschungsprojekte an. Einige stehen kurz vor dem Ende, einige sollen in Kürze beginnen und einige sind bislang noch nur Ideen, von denen Geldgeber erst noch überzeugt werden müssen. Der Blick in die Zukunft lässt hoffen, denn in den letzten 20 Jahren ist viel passiert. Bei allen Rückschlägen sind die Erfolge in der Medikation überdeutlich. Und die Kinder von damals sind die jungen Erwachsenen von heute. Sie leben mit der Krankheit, kennen etliche Tücken und haben gelernt, verantwortungsvoll damit umzugehen.
Ein Wissens- und Erfahrungsschatz, den die langjährigen Mitglieder der PH-Selbsthilfegruppe haben. Von dem die neuen profitieren können. Und so, wie der Verein aufgestellt ist, sollte das noch mindestens weitere 20 Jahre möglich sein.
Herzlichen Glückwunsch zum runden Geburtstag, PH-Selbsthilfe!

